Liebe Leser*innen
Seltsamerweise ist der Tag der Menschenrechte jener Tag, an dem die Menschenrechte erklärt wurden – mit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 – nicht der Tag, an dem sie durchgesetzt wurden. Dabei wäre das der Tag, an dem eigentlich gefeiert werden müsste. Das wäre der Tag, der einen Unterschied zum Guten gemacht hätte.
Aber dieser Tag findet im Kleinen natürlich jeden Tag statt. Oder sollte er jedenfalls. Genauso wie die Menschenrechte jeden Tag unter Druck gesetzt und verletzt werden.
Unter Druck gesetzt wurden die Menschenrechte sogar gestern, am Tag der Menschenrechte. Es war ausgerechnet gestern, dass die Justizminister*innen der europäischen Staaten nach Strassburg gereist sind, um über Migration und Menschenrechte zu diskutieren. Im Sommer hatten neun europäische Regierungschefs in einem Brief erklärt, die Menschenrechte schränkten ihren Handlungsspielraum im Umgang mit Migration zu sehr ein. Staaten bräuchten wieder mehr Freiheit und Migrierende wieder weniger Freiheit. Die gestrige Konferenz war ein Resultat dieser Ausübung von Druck auf die Menschenrechte.
Es war also der gestrige Tag der Menschenrechte selbst, der uns gezeigt hat, wie riskant es ist, die Menschenrechte einmal im Jahr zu feiern und uns den Rest des Jahres darauf zu verlassen, dass sie wirken. Wenn es uns in so exponierten Bereichen wie dem Umgang mit Migration nicht gelingt, den Wert und die Notwendigkeit der Menschenrechte zu erklären, beginnen sie rasch zu rosten.
Der Tag nach dem Tag der Menschenrechte ist daher genau der richtige Tag, Ihnen allen zu schreiben: Mit der Bitte, den Menschenrechten jeden Tag Sorge zu tragen, mit dem Versprechen, dass wir bei der SMRI das im nächsten Jahr tun werden, und mit den besten Wünschen für die Festtage und das neue Jahr.